Was ich liebe: Mit der Hand schreiben

2015 beschloss die finnische Regierung, dass die Schüler*innen zukünftig hauptsächlich am Computer schreiben lernen sollten. Auf Wunsch der Lehrer kann zusätzlich Druckschrift unterrichtet werden.

Ganz so extrem ist es in Deutschland nicht, aber auch bei uns wird in den Grundschulen für die Vermittlung der Schreibschrift immer weniger Raum und Zeit eingeräumt. Viele Kinder beherrschen sie mit Ende der Grundschulzeit deshalb nicht sicher. Das hat zur Folge, dass immer mehr Kinder und Jugendliche Probleme haben, handschriftliche Texte zu verfassen und eine individuelle Schrift zu entwickeln.

Warum aber ist die Handschrift überhaupt noch wichtig? Reicht es nicht, wenn man einen Schreibunterricht nach finnischem Vorbild durchführt?
Ich sage: Nein! Denn für mich hat die Handschrift Qualitäten, die dem Schreiben am Computer fehlen.

Die Handschrift als Teil der Persönlichkeit

Als ich in die Grundschule kam, haben wir erst einmal wochenlang Schlangenlinien, Spazierstöcke und Schlaufen gemalt. Nach und nach lernten wir, aus diesen Elementen die Buchstaben der Schreibschrift zu bilden. War ein Buchstabe nicht korrekt ausgeführt und akribisch in die Lineatur eingebettet, korrigierte die Lehrerin.

In der weiterführenden Schule hatten wir mehr Freiheiten mit unserer Handschrift – oberstes Gebot war, dass sie lesbar war und wir sie zügig schreiben konnten. In Stunden, die nicht so interessant waren, experimentierte ich gerne mit meiner Schrift.

Ich zog die Buchstaben in die Länge, stauchte sie, schrieb nach links- oder rechtsgeneigt, überlegte mir besondere Schnörkel für einzelne Buchstaben. Ich probierte aus, wie ich möglichst schnell und ordentlich schreiben konnte, schrieb manche Buchstaben als Druckbuchstaben, andere verband ich nach wie vor nach den Regeln der Schreibschrift. Und so entwickelte sich daraus allmählich meine persönliche Handschrift.

Die Handschrift und die Emotionen

Interessant finde ich, dass meine Handschrift nicht Festes und Statisches ist und ich in alten Tagebüchern allein anhand der Schrift erkennen kann, wie es mir damals ging. Die Handschrift transportiert also nicht nur Informationen, sondern kann auch Hinweise auf die Emotionen der Verfasserin oder des Verfassers geben.

Ich gebe zu: Manchmal ist eine Handschrift so individuell, dass sie nur schwer zu entziffern ist. Aber ich mag es trotzdem gerne, wenn ich per Hand geschriebene Briefe, Notizen oder Nachrichten bekomme. Beim Lesen ist mir dann so, als wäre die Person, die geschrieben hat, direkt bei mir.

Durch das Schreiben Hand und Hirn verbinden

Mit etwas Übung ist es einfach, schnell mit dem Computer zu schreiben. Bei wichtigen Veranstaltungen kann ich alles problemlos mittippen.  Hinterher habe ich mit etwas Glück das Gesagte als kompletten Text vorliegen. Aber bei diesem Vorgehen habe ich mir vermutlich weniger von dem Aufgeschriebenen gemerkt, als ich wenn ich mit der Hand geschrieben hätte. Woran das liegt?

Beim Schreiben mit der Hand muss ich auswählen, was ich notieren möchte und das Gesagte bereits während des Hörens auf das Wesentliche zu reduzieren. Der Grund dafür liegt darin, dass wir Menschen normalerweise langsamer mit der Hand schreiben als wir tippen können. Unser Gehirn ist ganz schön gefordert, um aus dem Gehörten die wichtigsten Aussagen zu filtern.
Dazu kommt, dass durch die Handbewegung eine Verbindung zum Gehirn aufgebaut wird und sich das Handgeschriebene gut einprägt. Natürlich sind die Hände auch beim Tippen in Bewegung, aber der direkte Bezug zwischen den einzelnen mit der Hand geformten Buchstaben und dem Gehirn gibt es nicht so wie bei der Handschrift.

Übrigens habe ich als Schülerin genau dieses Prinzip bei der Vorbereitung auf Arbeiten, Tests und Prüfungen genutzt – ohne es explizit zu kennen. Ich habe mir beim Lernen das Wichtigste rausgeschrieben und anschließend einen Pfuschzettel geschrieben. Mein Schummelzettel sollte logischerweise möglichst klein und unauffällig sein und ich habe die Informationen immer stärker zusammengefasst, so dass ich hinterher nur noch einen kleinen Papierfetzen mit den allerwichtigsten Informationen hatte. Und soll ich dir etwas verraten? Diese Pfuschzettel habe ich nur in den seltensten Fällen benötigt, da ich alle Informationen durch das ständige Wiederholen und Verkürzen richtig gut gelernt hatte.

Per Hand den Ideen-Motor anstoßen

Genauso, wie ich durch das Schreiben mit der Hand Informationen im Gehirn ablegen kann, ist es möglich, das Hirn durch das Handschreiben in Bewegung zu setzen und den Ideen-Motor anzuwerfen.

Das funktioniert zum Beispiel mit Assoziations-Methoden wie dem Mind-Mapping ganz prima: Ich suche zu einem Oberbegriff möglichst viele Begriffe, die mir in den Kopf kommen und schreibe sie auf.

Natürlich kann ich diese Art des Notierens auch per PC vornehmen, aber wenn ich per Hand schreibe, kann ich die Informationen, die mir spontan einfallen, ganz problemlos überall auf dem Papier platzieren. Ich kann Beziehungen durch Symbole, Durchstreichen, Pfeile und ähnliches deutlich machen.

Was mir besonders gut gefällt bei dieser Art des Aufschreibens: Mein Papier wirkt lebendig. Das, was ich notiert habe, ist noch nicht unbedingt ein festes Ergebnis. Alles ist noch offen, im Prozess. Und ich bin der Ansicht, dass zu diesem Zustand die „unperfekte“ Handschrift sehr gut passt.

Durch das Schreiben Klarheit gewinnen

Wenn ich eine Dauerkarte für das Gedankenkarussell habe, dann hilft es mir oft zu schreiben. In solchen Situationen geht es überhaupt nicht darum, mich besonders gut auszudrücken. Im Gegenteil: Häufig lasse ich meine Emotionen ungefiltert aufs Papier fließen, schreibe mir meine Gefühle von der Seele. Danach geht es mir direkt besser.
Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Schreibbewegung meiner Hand das Gedankenkreisen stoppt. Ich kann auf einmal gedanklich eine neue Richtung einschlage und komme so zu neuen Ideen und Gedanken, die mich schließlich zu Lösungen führen können.

Vor ein paar Jahren stand ich vor einer sehr schwierigen Entscheidung. Ich hatte hin- und herüberlegt, was ich machen soll, Pro- und Kontralisten angelegt, mich mit verschiedenen Personen beraten. Und trotzdem konnte ich mich nicht für den nächsten Schritt entscheiden. Also griff ich zu Stift und Papier und begann zu schreiben. Meine Gedanken, Sorgen, Befürchtungen, Hoffnungen und Wünsche flossen in den Text, in dem ich mir schriftlich ausmalte, wie mein zukünftiges Leben aussehen könnte. Nach einer dreiviertel Stunde hatte ich fünf Seiten geschrieben und mir war ganz klar, wie es weitergehen sollte. Das Ergebnis hat mich selber erstaunt, aber meine Gefühle, die sich beim Schreiben mit der Hand gezeigt hatten, wogen schwerer, als alle rationalen Gründe, die ich vorher aufgelistet hatte.

***

Für mich ist Schreiben – und insbesondere das Schreiben mit der Hand – mehr als reines Fixieren von Informationen.
Die Handschrift hat für mich etwas Persönliches, Emotionales, sie hilft mir eine Verbindung zu meinem Hirn und mit meinem Herzen aufzunehmen. Sie ist etwas Besonderes und Kostbares.

Ich wünsche mir, dass auch junge Menschen die Möglichkeit haben, diese Seiten der Schrift zu erleben. Deshalb ist es in meinen Augen sehr wichtig, dass sie nicht nur die Tasten des Computers sicher bedienen können, sondern auch eine Schreibschrift sicher und schnell beherrschen, aus der sie anschließend ihre eigene Handschrift entwickeln.

 

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