Wir und ihr sind Pluralformen! Wirklich?

Wir und ihr sind Pluralformen. Detektivin mit Lupe

Spätestens in der Grundschule haben wir es gelernt: „Wir und ihr“ sind Pluralformen und bezeichnen mehrere Personen. Aber ist das wirklich wahr?

Nein, denn wir verwenden manchmal Pluralformen, obwohl wir nur eine einzelne Person meinen. Verwirrend, oder? Warum machen wir das eigentlich? Durch diese Form, die man als Inklusives Wir bezeichnet, versuchen wir, Distanz zum Angesprochenen abzubauen und emotionale Wärme zu erzeugen.

Sicherlich kennst du diese Form von Eltern, die zu ihrem kleinen Kind sagen: „So, jetzt putzen wir uns die Zähne und dann gehen wir schlafen.“ Auch wenn die Eltern hier eine Plural-Form verwenden, bezieht sich das Zähneputzen und Schlafengehen nur auf das Kind. In dem Zusammenhang funktioniert das Inklusive Wir prima und hat in meinen Augen durchaus seine Berechtigung.

Neben dieser Eltern-Form im Gespräch mit dem eigenen Kind habe ich bei meiner Recherche noch weitere interessante Situationen gefunden, in denen die Pluralformen „wir“ oder „ihr“ verwendet wurde, obwohl eigentlich nur eine einzelne Person gemeint war.

1. Der Krankenschwestern-Plural

Ich erinnere mich noch gut an einen Krankenhausaufenthalt in meiner Jugend, bei dem mir die Schwestern häufig Fragen im Stil von „Haben wir denn gut geschlafen?“ oder „Hatten wir denn heute schon Stuhlgang?“ stellten. Sie haben den Krankenschwester-Plural verwendet, hierfür gibt es sogar einen lateinischen Fachbegriff: Pluralis sanitatis.

Mir lag immer auf der Zunge zu antworten „Ich habe gut geschlafen, wie das bei Ihnen war, weiß ich natürlich nicht“. Meine Zurückhaltung oder meine Erziehung haben mir allerdings den Mund zugehalten und mich etwas sozial Akzeptables antworten lassen. Aber ein ungutes Gefühl blieb.

Ähnlich wie mir scheint es anderen Menschen ergangen zu sein, denn ich habe gelesen, dass der Krankenschwester-Plural inzwischen ausgestorben ist, weil ihn viele Menschen als distanz- und respektlos empfunden haben.

2. Das Beratungs-Wir

Ein weiteres Beispiel für das Inklusive Wir ist das Wohlwollende Wir, das sich in der Berufswelt sehr wohl fühlt. Auch dafür gibt es eine passende lateinische Bezeichnung – Pluralis benevolentiae. Bestimmt kennst du diese Form, die gerne von Personen verwendet wird, die in der Hierarchie höher gestellt sind und Sätze in dem Stil sagen: „Dann wollen wir uns mal das Problem ansehen und überlegen, was wir machen können.“ Die Analyse des Problems erfolgt vielleicht noch gemeinsam, aber die Lösung muss die angesprochene Person in der Regel alleine umsetzen. Aber irgendwie hört sich in dem Zusammenhang die Pluralform beruhigend und gut an, finde ich.

Das Beratungs-Wir verwenden übrigens auch Lehrer*innen gerne, wenn sie signalisieren möchten, dass sie dem Schüler oder der Schülerin helfen möchten.

Nicht nur im beruflichen Kontext wird das Plural für Einzelpersonen gerne verwendet, auch im Privatbereich wird es eifrig benutzt.

3. Der Eltern-Plural in der Kommunikation mit Außenstehenden

Neben dem oben erwähnten Eltern-Plural in der Kommunikation mit den eigenen Kindern habe ich als junge Mutter noch eine andere Form des Eltern-Plurals kennen gelernt. Im Gespräch mit anderen Eltern hörte ich oft Sätze wie: „Was habt ihr denn in der Deutscharbeit? Wir haben leider nur eine drei, obwohl wir so viel geübt haben“ oder „Wir haben die Frau Meier in Mathe. Wen habt ihr denn?“

4. Der Hundehalter-Plural

Seitdem ich einen Hund habe, ist mir aufgefallen, dass das Inklusive Wir/Ihr auch gerne unter Hundehalter*innen benutzt wird. Das finde ich total witzig, weil bei mir sofort das Kopfkino startet und mein Inneres Entgegnungen ausspuckt, die ich aber normalerweise für mich behalte. Meine Lieblingsfragen in dem Zusammenhang waren:

  • „Seid ihr denn jetzt stubenrein?“ (Mein Inneres grinst: „Ähm, ja, damit hatte ich persönlich in den letzten Jahrzehnten keine Probleme. Bei meinem Hund klappt das mit der Stubenreinheit auch ganz gut!“)
  • „Knabbert ihr auch so gerne an Wurzeln im Wald?“ (Mein Inneres kichert, als es sich vorstellt, wie ich durch den Wald robbe und an Wurzeln nage: „Nö, habe ich noch nicht probiert, aber Frieda liebt Wurzelknabberei!“)
  • „Seid ihr denn noch läufig?“ (Mein Inneres bricht lachend zusammen.)

Nach diesen Beispielen des Inklusiven Wir, die mich eher amüsieren, kommen wir nun zu den Fällen, die ganz andere Gefühle in mir wecken.

5. Der Aneignungs-Plural

Vielleicht hast du auch schon einmal erlebt, dass eine Person deine Ideen als ihre eigenen präsentiert hat? Eine etwas schwächere Form ist das Ausgeben deiner Geistesblitze als gemeinsame Ideen.

Mir ist noch eine Situation sehr präsent, als sich ein ehemaliger Kollege in einer Konferenz meldete mit den Worten: „Ich habe mich eben mit Kollegin Kind unterhalten und wir haben folgende Ideen zu dem Problem xy gehabt“.

Ich war wie erstarrt: Das waren MEINE Ideen, die der Kollege da ganz frech als gemeinsame ausgab. Ich fühlte mich in der Situation hilflos und war wütend. Mich melden und klarstellen, dass das meine Ideen waren, kam mir kleinlich vor. Und eine Aussprache mit dem Ex-Kollegen hätte auch nichts gebracht.

Auch im Privaten passiert es mir immer mal wieder, dass von meinen Mitmenschen Sachen, die ich gedacht oder gemacht habe, als Gemeinschaftsergebnisse ausgegeben werden.

Inzwischen lasse ich das meistens nicht mehr so stehen, sondern stelle richtig. Das ist zwar manchmal kleinlich, aber mir geht es besser, wenn meine Anteile an Arbeiten als solche gesehen und gewürdigt werden.

6. Das „Mach-du-mal-Wir“

Eine andere Plural-Form, die ich gar nicht mag, ist das „Mach-du-mal-Wir“. Was ich damit meine? Fälle, in denen Personen das Pronomen „wir“ anstelle von „du“ benutzen und Aufforderungen so eine hübschere Verpackung verpassen.

Es mag sein, dass sich der Satz: „Wir müssen noch ein Geschenk für die Tante besorgen“ besser anhört als „Besorg du bitte ein Geschenk für die Tante!“ Trotzdem bevorzuge ich die klare Aufforderung gegenüber der softeren Wir-Variante. So ist wenigstens klar, wer diese Aufgabe übernehmen soll.

Inzwischen habe ich meine Familie weitestgehend dazu gebracht, den „Mach-du-mal-Plural“ abzulegen, einfach, indem ich mich dumm gestellt  und nachgefragt habe: „Wen meinst du in dem konkreten Fall mit „wir“? Machst du das?“ und schwuppdiwupp hatte ich den Satz, den ich lieber mag: „Mach du das bitte!“

7. So wichtig, dass Einzahl nicht ausreicht

Ganz zum Schluss möchte ich noch auf eine sehr prominente Pluralform eingehen, auf den Pluralis majestatis, den König*innen und Päpste (auch heute noch?) verwenden, wenn sie über sich sprechen. Bisher hatte ich leider noch nicht die Möglichkeit zu überprüfen, ob gekrönte Häupter diese Form wirklich noch verwenden und wie ich darauf reagiere. Ich vermute mal, dass ich ein Lachen unterdrücken müsste, wenn ein König oder eine Königin so mit mir reden würde. Naja, schnell einen tiefen Hofknicks machen und niemandem fällt meine Belustigung auf.


Du siehst also: „Wir“ und „ihr“ sind zwar Pluralformen, werden aber gar nicht so selten verwendet, wenn es eigentlich um eine einzelne Person geht. Vielleicht fallen dir ja noch weitere Beispiele ein? Dann freut sich die Sprachdetektivin natürlich sehr über einen entsprechenden Kommentar!

2 Kommentare zu „Wir und ihr sind Pluralformen! Wirklich?“

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