Wenn ich morgens gegen 7 Uhr die Zeitung aus dem Briefkasten hole, dann sehe ich sie an unserem Haus vorbeischlurfen: Jugendliche auf dem Weg zur Bushaltestelle. Meine eigenen Kinder reihen sich in den müden Trupp ein, um rechtzeitig zur ersten Stunde in der Schule zu sein.
Mir tun die jungen Menschen leid, die oft noch im Dunklen das Haus verlassen müssen und denke mir: „Morgenstund´ hat Gold im Mund. Echt jetzt?“
Für Frühaufsteher mag der zeitige Schulbeginn passend sein, wie aber sieht es für Spätaufsteher aus?
Von Eulen und Lerchen
Die Schlafforschung unterscheidet zwischen Frühaufstehern, den „Lerchen“, die morgens fit und produktiv sind und den spätaufstehenden „Eulen“, die abends in Hochform sind. Je 20% verteilen sich auf die Früh- und Spätaufsteher, die übrigen 60% gehören zu einer Mischform, die häufig eine Vorliebe entweder für das frühe oder für das späte Aufstehen haben.
Die Aufstehpräferenz ist übrigens angeboren, wobei es im Laufe des Lebens Schwankungen gibt. Fast alle Kleinkinder sind Frühaufsteher. In der Pubertät hingegen verschiebt sich die Schlafphase der Jugendlichen nach hinten: Sie können abends oft erst spät einschlafen und wachen morgens später von selbst auf. Ursache für diese Verschiebung der Schlafenszeit ist vermutlich das sogenannte „Schlafhormon“ Melatonin.
Übermüdete Schüler*innen
Als ich als Lehrerin an weiterführenden Schulen gearbeitet habe, war die erste Stunde in der Regel sehr ruhig. Die Schüler*innen waren müde und passiv. Das war ganz unabhängig vom Unterrichtsinhalt und von der Klasse so.
Ab halb neun änderte sich der Zustand der Jugendlichen nach und nach und spätestens nach der ersten großen Pause waren alle halbwegs wach.
Meine Schüler*innen waren übrigens kein Einzelfall. Meine Kolleg*innen machten ähnliche Erfahrungen. Und auch die Beobachtung von Wissenschaftlern zeigt: Rund drei Viertel der Schüler*innen sitzen in der ersten Unterrichtsstunde vollkommen übermüdet in der Schule. Viel von dem Stoff, der in der ersten Dreiviertelstunde vermittelt wird, rauscht daher an den meisten Jugendlichen vorbei.
Dass der Schlafmangel der Jugendlichen zu einem ruhigeren Start in den Schulmorgen führt, ist eine Sache. Er hat allerdings noch weitere Folgen.
Folgen von Schlafmangel
- Müdigkeit und
- mangelnde Konzentration
sind ganz offensichtliche Folgen von Schlafmangel. Forscher haben außerdem festgestellt, dass müde Menschen bis zu 30 % schlechtere Leistungen erbringen als ausgeschlafene Personen.
Kinder- und Jugendärzte gehen davon aus, dass Jugendliche zwischen 8 und 10 Stunden Schlaf brauchen. So lange können allerdings die wenigsten Jugendlichen wochentags schlafen, weil sie der zeitige Schulbeginn zum frühen Aufstehen zwingt und das frühe Einschlafen vielen nicht gelingt, selbst wenn sie es wollten.
Was können eigentlich die Folgen sein, wenn jemand immer zu wenig Schlaf bekommt?
Darüber hinaus kann zu wenig Schlaf auch die Gesundheit beeinflussen und zu folgenden Beschwerden führen:
- Anfälligkeit für Übergewicht
- psychische Labilität
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- ein geschwächtes Immunsystem
Gründe für den frühen Schulbeginn
Es ist schon länger bekannt, welche gravierende Folgen Schlafmangel auf den Menschen haben kann. Auch das veränderte Schlafverhalten während der Pubertät ist keine neue Entdeckung. Der Chronobiologe Professor Till Roenneberg von der Universität München spricht über den Schulbeginn um 8.00 Uhr sogar von einer „biologischen Diskriminierung“.
Dennoch fängt die Schule in Deutschland in der Regel um 8.00 Uhr oder sogar früher an. Warum eigentlich?
- Ein Argument, das immer wieder für den frühen Schulstart genannt wird, ist der frühe Arbeitsbeginn der Eltern, der diese zu einem frühen Aufbrechen von zuhause zwingt. Viele Mütter und Väter möchten nicht, dass ihre Kinder nach ihnen das Haus verlassen.
Aber ist dieses Argument überhaupt noch zeitgemäß? Eltern können ihre Arbeitszeit zunehmend flexibel handhaben oder im Homeoffice arbeiten.
Zudem mag es sein, dass Eltern ihre Kinder im Grundschulalter nicht gerne alleine zuhause lassen, wenn sie zur Arbeit aufbrechen. Bei älteren und selbstständigeren Jugendlichen hat dieses Argument in meinen Augen weniger Überzeugungskraft.
- Ein weiteres Argument, das die Befürworter des frühen Schulbeginns anbringen, ist die Zeit am Nachmittag, die den Schüler*innen für Hobbys oder Treffen mit Freund*innen bleibt, wenn sie morgens zeitig beginnen.
Auch diese Begründung für einen Schulstart um 8.00 Uhr halte ich nicht mehr für zeitgemäß. Immer mehr Schulen bieten Ganztagsunterricht an und auch viele jüngere Kinder werden nach dem Unterricht betreut. Daher kommen viele Kinder und Jugendliche ohnehin erst nachmittags nachhause.
Es gibt Hoffnung
Einige Schulen haben inzwischen ihre Anfangszeiten angepasst und bieten älteren Schüler*innen einen späteren Schulstart oder flexible Anfangszeiten.
Ein Vorreiter im Bereich des späteren Schulbeginns ist das Gymnasium Alsdorf. Seit einigen Jahren wird den Oberstufenschüler*innen dort Gleitzeit angeboten. Das bedeutet, dass die Jugendlichen entscheiden dürfen, ob sie in der 1. oder 2. Stunde beginnen.
Auch in der Schule meines Sohnes gibt es seit diesem Schuljahr für die höheren Jahrgänge zwei Mal wöchentlich einen offenen Anfang. Die Schüler*innen können bis zu 20 Minuten nach dem offiziellen Stundenbeginn in den Unterricht kommen. In der Zeit bis zum eigentlichen Unterrichtsbeginn können sich die Schüler*innen eigenständig beschäftigen.
Das sind in meinen Augen gute Ansätze, um der biologischen Uhr der Jugendlichen entgegenzukommen. Um zu verhindern, dass Schüler*innen durch einen späteren Schulbeginn noch später nachhause zu kommen und noch weniger Zeit für außerschulische Interessen haben, wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, die Lehrpläne an einigen Stellen zu kürzen. Aber das ist ein anderes Thema.