Siezen oder duzen? – Das ist hier die Frage!

Als Lehrerin habe ich viel in 5. Klassen unterrichtet und häufig kam es zu einem ähnlichen Wortwechsel wie diesem. Ein Kind meldete sich: „Du, Frau Kind, kannst du mir mal bitte helfen?“ Bevor ich auch nur irgendwie reagieren konnte, brüllte ein anderes Kind in die Klasse: „Du kannst Frau Kind doch nicht duzen, du musst zu ihr Sie sagen!“

Hölzernes Siezen oder distanzloses Duzen?

Manchmal wünsche ich mir, dass auch mir jemand ganz eindeutig erklären würde, wen ich in welcher Situation duzen oder siezen soll. Sieze ich eine Person, kann das hölzern, spießig und unnahbar wirken. Duze ich hingegen in unpassenden Situationen, passiert es vielleicht, dass ich distanzlos wirke und die Grenzen meines Gegenübers verletze. Beides möchte ich nicht und deshalb beschäftigt mich dieses Thema.

Frau guckt fragend, Finger an der Stirn
Duzen oder siezen? Das ist hier die Frage!

Einfache Regeln in der Kindheit zum Siezen und Duzen

In meiner Kindheit war es noch relativ einfach, zu wem ich du oder Sie sagen sollte. Familienmitglieder habe ich natürlich geduzt und auch Jugendfreunde meiner Eltern habe ich so angesprochen, gerne mit Onkel oder Tante kombiniert. Alle anderen Menschen in meinem Umfeld habe ich gesiezt: Nachbarn, Eltern meiner Freundinnen, Kindergärtnerinnen, Lehrer*innen, Verkäufer*innen, Ärzt*innen.

Die Eltern meiner Freundinnen – siezen, duzen oder gar nichts?

Komplizierter wurde es für mich, als sich meine Mutter und mein Vater mit den Eltern meiner Grundschulkameradinnen anfreundeten und diese auf einmal duzten. Wenn ich mich richtig erinnere, haben die Eltern damals mit ihren neuen Freund*innen richtig Brüderschaft getrunken, mit Alkohol angestoßen und ganz feierlich verkündet: „Ich bin die Rosi“ – „Und ich der Hermann“. Vielleicht gab es sogar ein Brüderschafts-Küsschen. Lag es daran, dass ich bei diesem feierlichen Akt nicht dabei war oder gab es andere Gründe dafür, dass ich die neuen Freunde meiner Eltern weiterhin siezte, obwohl ich in ihren Familien ein- und ausging? Ich kann das nicht sagen.

Als ich älter wurde, fand ich es zunehmend komisch, dass ich diesen Teil des Freundeskreises meiner Eltern weiterhin siezte. Eine Zeit lang versuchte ich, eine direkte Anrede zu vermeiden, eine extrem anstrengende Strategie! Bei Renate, der inzwischen besten Freundin meiner Mutter, wechselte ich als junge Erwachsene ohne große Worte einfach zum Du und das war in Ordnung so.

Dieses Problem mit dem Siezen oder Duzen hatte ich übrigens nicht bei den Eltern von Freund*innen, die mit meinen Eltern nicht befreundet waren. Bei ihnen ging mir das Sie ganz leicht über die Lippen.

Duzen und Siezen als junge Erwachsene

Je älter ich wurde, desto komplizierter wurde es für mich mit der korrekten Anrede. In der Oberstufe bot uns unser Deutschlehrer an ihn zu duzen. Ich empfand das als unangenehm, ich wollte das nicht und fühlte mich unter Druck gesetzt. Auszusprechen, dass ich beim Sie bleiben würde, weil ich ein distanziertes Verhältnis wollte, fand ich heikel. Also versuchte ich auch bei ihm auf eine direkte Ansprache zu verzichten.

In den 90iger Jahren erlebte ich, dass ich bei meinen Studentenjobs teilweise gesiezt, teils geduzt wurde. Das hing von der Branche und den jeweiligen Personen ab. Oft erklärten mir die Vorgesetzen beim Start in den neuen Job, dass sich bei ihnen alle duzen und fragte, ob das auch für mich in Ordnung sei. Ich fand das gut, denn so konnte ich unangenehme Fettnäpfchen vermeiden.

Der Du-Sie-Graben in deutschen Lehrerzimmern

Während meiner Zeit als Lehrerin habe ich in vielen Schulen gearbeitet und dort beobachtet, dass das Thema Duzen oder Siezen kompliziert ist.
Bei jüngeren Lehrer*innen ist das Duzen normal, bei den älteren habe ich keine einheitliche Linie festgestellt. In einer Schule erklärte mir ein netter älterer Kollege: „Wir duzen uns hier alle, es gibt allerdings einige Ausnahmen“. Und es folgte eine längere Aufzählung mit Namen. Das war super!

In einer anderen Schule war es mir nämlich passiert, dass ich einer älteren Kollegin das Du fast schon aufgedrängt hatte. Autsch! Ich merkte sofort, dass ihr das unangenehm war, hätte aber die ganze Situation verschlimmert, wenn ich das Du sofort wieder zurückgezogen hätte.

Frau reißt Augen auf und guckt fragend.
Oje, mitten rein ins Fettnäpfchen!

Und jetzt: Ist generelles Duzen normal?

Meine Beobachtung in den letzten Jahren: In allen möglichen Kursen, Seminaren und Workshops, die ich besucht habe, fragten die Kursleiterinnen ganz zu Anfang, ob alle mit dem Duzen einverstanden sind. Ich habe noch nie erlebt, dass das jemand verneint hat und so waren wir sehr schnell beim Du. Ich hatte dadurch schon den Eindruck gewonnen, dass sich das Du zunehmend durchgesetzt hat und fast schon die Norm geworden ist. Aber stimmt das so wirklich?

Vor ein paar Monaten fing ich mit einem neuen Job an und befinde mich dort – wieder mal –  in einer seltsamen Situation, was das Duzen oder Siezen anbelangt. In dem Team duzen sich alle, nur ich bin mit allen per Sie. Liegt das daran, dass ich dort nur stundenweise arbeite? Oder dass ich hauptsächlich von zuhause arbeite? Oder ist der Grund, dass meine Kollegen und Kolleginnen dort alle jünger sind als ich und sie es komisch fänden, mir das Du anzubieten? Mein Fettnäpfchen-Radar hindert mich daran, das Thema anzusprechen und so bleibt es – wenigstens vorerst – beim Sie im Duz-Umfeld.

Duze oder sieze ich meine Leser*innen?

Als ich mit diesem Blog begonnen habe, machte ich mir natürlich auch Gedanken darüber, ob ich meiner Leser*innen duzen oder siezen sollte. Und soll ich dir etwas verraten? In meinen ersten Texten habe ich noch fleißig gesiezt, weil ich dachte, dass das professioneller sei. Ich bin noch in Zeiten und Kreisen aufgewachsen, in denen das Siezen als respektvolle und höfliche Anrede empfunden wurde. Vielleicht kennst du noch den Spruch, mit dem damals das Siezen rechtfertigt wurde: „Sie Arschloch zu sagen fällt schwerer als du A-Loch!“

Ich bin aber der Ansicht, dass Respekt und Höflichkeit auch beim Duzen durchaus möglich ist und man nicht zwangsweise in distanzloses Verhalten abrutschen muss. Außerdem stelle ich fest, dass mir das Schreiben viel leichter fällt, wenn ich meine Leser*innen duze. Hoffentlich fühlst du dich durch meine Duzerei nicht so überrumpelt wie damals meine Kollegin! Und wenn doch: Sag es mir bitte! Ich bin flexibel und kann auch prima siezen ;-).

***

Ich finde es spannend, wie sich das Duzen und Siezen weiterentwickeln wird. Als mich vor ein paar Jahren irgendwann Verkäufer*innen oder Servicepersonal duzten, die sehr viel jünger waren als ich, fand ich das erst einmal seltsam. Inzwischen gefällt mir das gut! Es wirkt lockerer und weniger distanziert.

Und warum sollten wir das Duzen nicht in noch mehr Lebensbereiche ausdehnen? Mir scheint eine Duz-Reform nach dem Vorbild der skandinavischen Länder immer attraktiver. Gäbe es in der Gesellschaft einen Konsens, dass sich alle duzen, müssten wir nicht bei jedem neuen Kontakt wieder aushandeln, ob wir uns siezen oder duzen, komisches Vermeiden einer direkten Ansprache könnte wegfallen, genauso wie unangenehme Situationen, in denen wir die falsche Anrede verwenden.

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