Was ist ein Nachteils-Ausgleich für Schüler*innen?

Was ist ein Nachteilsausgleich

Wenn ein Kind eine Teilleistungsstörung hat, also von LRS/Legasthenie (Lese-Rechtschreibstörung) oder Dyskalkulie (Rechenschwäche) betroffen ist, können die Erziehungsberechtigten in der Schule einen Nachteilsausgleich beantragen.

Ziel des Nachteilsausgleichs ist es, dass betroffene Schüler und Schülerinnen die gleichen Bildungs-Chancen wie ihre Mitschüler*innen erhalten und einen Schulabschluss erlangen können, der ihren Fähigkeiten entspricht.

In Deutschland gibt es keine einheitliche Regelung zum Nachteilsausgleich an Schulen. Dennoch gibt es einige generelle Punkte, auf die ich in diesem Text eingehen werde.

1. Wer hat Anspruch auf einen Nachteilsausgleich in der Schule?

Neben Schülern und Schülerinnen mit LRS/Legasthenie oder Dyskalkulie haben auch Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, chronischen Krankheiten oder sozialpädagogischem Förderbedarf Anspruch auf einen Nachteilsausgleich.

Jedes Bundesland regelt eigenständig, für welche Schulformen, Altersgruppen oder Arten von Teilleistungsstörungen ein Nachteilsausgleich erteilt werden kann. Für Grundschulkinder mit Dyskalkulie können Eltern in Hessen und NRW beispielsweise einen Nachteilsausgleich beantragen. In Bayern hingegen ist dies nicht möglich.

Welche Regelungen in deinem Bundesland gelten, kannst du hier nachlesen.

2. Wie funktioniert die Beantragung und Bewilligung?

In der Regel beantragen die Erziehungsberechtigten den Nachteilsausgleich für ihr Kind. Ein formloses Schreiben reicht hierzu. Es kann sinnvoll sein, in dem Anschreiben um konkrete Unterstützungsmaßnahmen zu bitten, damit dein Kind genau die Hilfe erhält, die sinnvoll ist.

In den meisten Bundesländern ist es so, dass die Klassenkonferenz über den Nachteilsausgleich entscheidet. Er wird normalerweise für ein halbes Jahr gewährt. Außerdem wird in der Konferenz über einen Förderplan für das Kind abgestimmt. Üblicherweise wird ein Nachteilsausgleich mit der Auflage erteilt, dass das Kind professionelle Förderung erhält, zum Beispiel durch Lerntherapie, Legasthenie- oder Dyskalkulie-Training.

3. Welche Unterstützungs-Möglichkeiten kann dein Kind erhalten?

Am häufigsten wird die Bearbeitungszeit bei Klassenarbeiten verlängert.

Möglich sind aber auch andere Angebote:

  • die mündliche Mitarbeit wird stärker gewichtet
  • eine Klassenarbeit kann durch eine Präsentation oder ein Referat ersetzt werden
  • Hilfsmitteln wie Wörterbüchern, Checklisten und ähnliches dürfen in Klassenarbeiten verwendet werden

Eine ausführliche Liste, was ein Nachteilsausgleich noch enthalten kann, findest du hier.

4. Vorbehalte rund um den Nachteilsausgleich

Als Lehrerin und Legasthenie-Trainerin begegnen mir immer wieder Vorbehalte, wenn es um das Thema Nachteilsausgleich geht.

1. Kinder mit Nachteilsausgleich ruhen sich darauf aus

Immer wieder höre ich die Befürchtung, dass sich Kinder auf ihrem Nachteilsausgleich ausruhen und sich nicht weiterentwickeln.

Das ist eine unnötige Sorge! Fachlich müssen alle Schüler und Schülerinnen dasselbe Pensum lernen. In der Regel ist es so, dass Schulen nur dann einen Nachteilsausgleich gewähren, wenn nachgewiesen wird, dass das Kind eine Fördermaßnahme in Anspruch nimmt. Ziel solch einer Förderung ist es, dass das Kind Strategien entwickelt, wie es das Lesen, Schreiben und Rechnen gut bewältigen kann. Es ist daher eher so, dass Kinder und Jugendliche, die Anrecht auf einen Nachteilsausgleich haben, mehr Zeit und Energie ins Lernen stecken müssen als ihre Mitschüler*innen.

2. Ist ein Nachteilsausgleich nicht den anderen Mitschüler*innen gegenüber ungerecht?

Ein Nachteilsausgleich bedeutet, dass ein Kind als Ausgleich für seine persönlichen Herausforderungen Unterstützung erhält, um schulische Aufgaben bewältigen zu können. Die Anforderungen und die Bewertungsmaßstäbe unterscheiden sich nicht von denen der Klassenkamerad*innen.

Anders ist das, wenn ein Kind Notenschutz erhält. Dies bedeutet, dass beispielsweise die Rechtschreibung in einer Arbeit nicht gewertet wird. Wenn einem Schüler oder einer Schülerin Notenschutz gewährt wird, dann wird dies in der Regel unter der Arbeit und auf dem Zeugnis vermerkt. Dadurch wird deutlich, dass bei dem Kind andere Bewertungsmaßstäbe angelegt wurden als bei dem Rest der Klasse. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 werden die Bemerkungen bezüglich des Notenschutzes auf den Zeugnissen zukünftig entfallen.

3. Der Nachteilsausgleich bringt nichts

Lernkinder und deren Eltern erzählen mir gelegentlich davon, dass die Kinder in Klassenarbeiten nicht immer die Unterstützungsangebote bekommen, die ihnen eigentlich zustehen.

So passiert es immer wieder, dass ein Kind nicht die zugesicherte Zusatz-Zeit in Klassenarbeiten erhält. Oder ein Kind mit massiven Sehproblemen bekommt im Unterricht und in Arbeiten oft nicht die extra groß kopierten Arbeitsbögen, die es für eine gelingende Mitarbeit benötigt.

Natürlich sind solche Erlebnisse für die betroffenen Kinder und ihre Eltern frustrierend. Mein Tipp: Sprich in solchen Fällen die Lehrkraft oder Klassenlehrkraft deines Kindes an. Der Nachteilsausgleich ist keine Gefälligkeit! Dein Kind hat wegen seiner starken Beeinträchtigungen im Sinne der Chancengleichheit einen Anspruch darauf.

5. Warum überhaupt einen Nachteilausgleich beantragen?

Die Vorurteile, die rund um den Nachteilsausgleich kursieren, bewegen manche Eltern dazu, für ihr Kind keinen zu beantragen. Außerdem empfinden es viele Mädchen und Jungen als unangenehm, wenn sie durch das besondere Unterstützungs-Angebot eine Sonderbehandlung in der Klasse erfahren.

Auf der anderen Seite kann ein Nachteilsausgleich (oder auch Notenschutz in besonders schweren Fällen) die schulische Situation eines Kindes gravierend verbessern: Die Noten werden dadurch oftmals besser, was viel Druck nimmt. Außerdem profitieren die Kinder von der individuellen Förderung, die in der Regel Bedingung für einen Nachteilsausgleich ist.

In meinen Augen ist es wichtig, dass eine Familie die möglichen Vor- und Nachteile eines Nachteilsausgleichs abwägt. Sinnvoll ist es, wenn in den Entscheidungsprozess die (Klassen-)Lehrkraft des Kindes einbezogen wird. Denn vielleicht lässt sie sich auf ein ähnliches Modell ein, wie es eines meiner Lernkinder erlebt: Es hat zwar einen Nachteilsausgleich, kann aber in der Klassenarbeit entscheiden, ob es die Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen möchte oder nicht.


6. Tipps rund um den Nachteils-Ausgleich

Wenn du für dein Kind einen Nachteilsausgleich beantragen möchtest, solltest du folgende Punkte berücksichtigen.

  • Erkundige dich in der Schule, welche Voraussetzungen für die Beantragung eines Nachteilsausgleichs gelten. In der Regel reicht ein formloses Schreiben. In manchen Schulen wird zusätzliche eine Diagnose verlangt.
  • Es gibt keine festen Fristen, um einen Nachteilsausgleich zu beantragen. Sinnvoll ist es, möglichst frühzeitig im Schuljahr einen Antrag zu stellen, damit dein Kind bereits bei den ersten Klassenarbeiten von Unterstützungsmöglichkeiten profitieren kann.
  • Oft verlangen Schulen, dass Kinder mit Nachteilsausgleich professionell gefördert werden. Kümmere dich rechtzeitig um einen Platz in einem schulischen Förderkurs oder in einer lern-therapeutischen Praxis.
  • Wenn bei deinem Kind Prüfungen anstehen, müssen feste Fristen eingehalten werden. Auch ist es in dem Fall oft notwendig, dass bereits über einen längeren Zeitraum ein Nachteilsausgleich bewilligt war.
  • Liegt bei deinem Kind eine starke Beeinträchtigung durch LRS/Legasthenie vor, solltest du darauf achten, dass der Nachteilsausgleich lückenlos über mehrere Jahre gewährt wurde. Nur unter diesen Umständen ist es in einigen Bundesländern möglich, für die Sekundarstufe II einen Nachteilsausgleich zu beantragen.

Ich hoffe, dass dir dieser Artikel weiterhelfen konnte. Du hast noch Fragen zum Nachteilsausgleich oder möchtest wissen, wie du dein Kind mit LRS/Legasthenie am besten unterstützen kannst? Dann melde dich gerne bei mir für eine Eltern-Beratung an.

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