LRS und Legasthenie – gibt es einen Unterschied?

Dein Kind hat Probleme mit dem Lesen und/oder der Rechtschreibung und du denkst, dass es vielleicht Legasthenie oder LRS hat?

Eine grobe Vorstellung, was diese beiden Begriffe bezeichnen, hast du bestimmt. Aber was bedeuten sie genau? Lass uns dazu erst einmal einen kleinen Ausflug in die Geschichte machen.

1. Die Entstehung des Legasthenie-Begriffs

Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts herrschte die allgemeine Auffassung, dass schlechte Lese- und Schreibfertigkeiten ein Anzeichen von mangelnder Intelligenz seien. Betroffene Schüler*innen erhielten keine besondere Förderung und besuchten sehr oft keine reguläre Schule.

Der ungarische Kinderpsychiater Pál Ranschburg prägte zwar schon1916 den Begriff „Legasthenie“, bezeichnete damit jedoch ausschließlich Kinder mit Leseschwierigkeiten. Er ging davon aus, dass betroffene Kinder unterdurchschnittlich intelligent seien.

Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird das Wort „Legasthenie“ in der heutigen Bedeutung verwendet. Die Schweizer Psychologin Maria Lindner erweiterte 1951 den Begriff, um damit auszudrücken, dass eine Person Probleme mit der Rechtschreibung und dem Lesen hat.

Sie fand auch heraus, dass Menschen mit Legasthenie/LRS in der Regel über eine normale Intelligenz verfügen.

2. Und was ist nun LRS?

Die Abkürzung LRS ersetzt in den letzten Jahren zunehmend den Legasthenie-Begriff, den viele als diskriminierend empfinden. Ganz durchgesetzt hat sich dies allerdings nicht, denn teilweise werden beide Begriffe parallel in der selben Bedeutung benutzt1.

Das ist verwirrend. Was die ganze Sache noch komplizierter macht: Viele Fachleute verwenden den LRS-Begriff nicht einheitlich und so kann LRS Lese-Rechtschreibschwierigkeit, -schwäche oder -störung bedeuten. Auch die Definition, was LRS überhaupt ist, unterscheidet sich teilweise sehr2.

3. LRS aus medizinischer Sicht

Viele Kinderpsychiater und Mediziner verstehen LRS als angeborene Störung. Oft haben in einer Familie mehrere Personen Probleme mit dem Lesen und/oder Schreiben. Das spricht für eine genetische Ursache.

Weil die betroffenen Kinder nur in einem klar umrissenen schulischen Bereich Probleme haben, gilt LRS nicht als allgemeine Lernschwäche, sondern als Teilleistungsstörung. In der Forschung geht man davon aus, dass die angeborene LRS durch Probleme in der Wahrnehmungsverarbeitung verursacht wird.

Zwar ist die LRS aus medizinischer Sicht angeboren, durch ein gutes LRS-Training kann ein Kind allerdings die notwendigen Lese- und Schreibstrategien aufbauen, um die Schriftsprache zu beherrschen.

4. LRS aus pädagogischer Sicht

Im schulischen Bereich wird häufig von LRS gesprochen, wenn die Probleme mit der Schriftsprachedurch mangelnde Automatisierung entstanden sind.

Automatisierung bedeutet in dem Zusammenhang, dass ein Kind eine Strategie im Schriftspracherwerb nicht umsetzen kann, weil es diese nicht verstanden oder genügend geübt hat. Die verschiedenen Schreib- und Lesestrategien bauen aufeinander auf. So kann es sein, dass ein Kind massive Probleme mit dem Lesen und/oder Schreiben bekommt, wenn ihm grundlegende Fertigkeiten in den Bereichen fehlen.

Von einem LRS-Training kann es sehr profitieren, wenn dies genau an dem Punkt ansetzt, wo das betroffene Kind Schwierigkeiten hat und es so schrittweise die fehlenden Kompetenzen aufbauen kann.

5. Orientierung im Bezeichnungs- und Definitions-Dschungel

Fassen wir zusammen: LRS und Legasthenie bezeichnen eigentlich das selbe Phänomen. Von manchen Fachpersonen wird LRS für „erworbene“ Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben verwendet.

Worin sich angeborene und erworbene schlechte Lese- und Schreibprobleme unterscheiden und in welchen Punkten sie gleich oder ähnlich sind, siehst du auf folgenden Bildern:

Dschungel-Bild mit dem Wort Ursachen
Dschungel-Bild mit dem Wort Fehler
Dschungel-Bild mit dem Wort Folgen
Dschungel-Bild mit dem Wort Prognosen

Ganz egal, ob es sich bei deinem Kind nun um eine „angeborene“ oder „erworbene“ Problematik mit dem Lesen und/oder dem Schreiben handelt. Es ist wichtig, dass dein Kind so früh wie möglich kompetente Hilfe erhält, damit es gut lesen und schreiben lernt.

2 Kommentare zu „LRS und Legasthenie – gibt es einen Unterschied?“

  1. Gute Aufschlüsselung und gut geschrieben.Kleine Anmerkung: Genetisch gesehen gibt es eine Disposition für die angeborene LRS und mittlerweile weiß man, dass sie multifaktoriell ist. Das bedeutet es sind mehrere Gene beteiligt.

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