Vor fünf, sechs Jahren sitze ich in einer schulischen Weiterbildung. Auf einmal tippt mich meine Kollegin an, die neben mir sitzt, zeigt auf das Handout in meinen Händen und flüstert mir zu: „Du kannst es aber auch nicht lassen, oder?“ Ich hatte ganz unbewusst während des Vortrags die Rechtschreibfehler auf dem Handout korrigiert.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich einen „Rotstift im Auge“ habe, weil ich in Texten Rechtschreibfehler ganz schwer unbeachtet sein lassen kann und oft fast schon automatisch korrigiere, ganz so wie in der oben beschriebenen Weiterbildung.
Bedeutet das nun, dass ich als „Kämpferin für die richtige Schreibweise“ auch eine Liebhaberin der Rechtschreibung bin? Eine interessante Frage, die ich mir so noch nie gestellt habe. Erst durch Kerstin Salvadors Blogparade „Rechtschreibung und ich – (k)eine Liebesgeschichte“ habe ich mich gefragt: Was bedeutet Rechtschreibung eigentlich für mich? Kann ich vielleicht sogar behaupten: Rechtschreibung – ich lieb´ sie? Was schätze ich an ihr und was stört mich vielleicht daran?
Darum geht es hier:
1. Rechtschreibung – ich lieb´ sie
1. Einheitlichkeit und Eindeutigkeit
Die Rechtschreibung sorgt dafür, dass die Schriftsprache weitgehend einheitlich ist. Dadurch lassen sich die Wörter beim Lesen schnell entziffern und es kommt zu weniger Missverständnissen, als wenn jede*r eine individuelle Schreibweise verwenden würde.
Ein kleines Beispiel gefällig, warum Rechtschreibung dafür sorgt, dass Missverständnisse vermieden werden? Hier geht es konkret um die Groß- und Kleinschreibung. Würde man auf sie verzichten, könnte die beiden Wörter „liebe genossen“ auf zweierlei Weise verstanden werden:
Zugegeben: Dieses Beispiel lädt zum Schmunzeln ein und ist amüsant. Aber stell dir mal vor, du müsstest beim Lesen eines Textes immer wieder überlegen, was nun gemeint ist. Wie viel vom eigentlichen Inhalt würde uns durch das ständige Innehalten und Überlegen verloren gehen!
2. Rechtschreibfehler
Fehler haben in unserer Kultur kein gutes Image. Eine Ausnahme bilden da die Rechtschreibfehler von Kindern, die gerade mit dem Schreiben beginnen. Wenn ich sehe, wie Schreibanfänger*innen voller Eifer ihre ersten Wörter und Sätze aufschreiben, bin ich begeistert. Rechtschreibfehler empfinde ich in diesen Kontext als vollkommen normal, ja oft finde ich diese Schreibweisen sogar besonders niedlich und süß. Schließlich machen die Kinder gerade ihre ersten Schritte und können sich mit der Rechtschreibung noch gar nicht auskennen.
Und dann gibt es noch einen weiteren Bereich, in dem Rechtschreibfehler (zumindest vom Leser / von der Leserin) nicht als negativ angesehen werden: Wenn es sich um lustige Verschreiber handelt. In einer Ferienwohnung mit Kamin hatte die Vermieterin diese Heizmöglichkeit mit den Worten „der Kamin sorgt für wollige Wärme“ beschrieben. Ich fand das sehr komisch. Wenn ich mich in Buchläden umschaue, scheine ich nicht die Einzige zu sein, die sich über Sammlungen mit verunglückter Rechtschreibung amüsiert, auch wenn das Lachen darüber etwas von Auslachen hat.
3. Wichtiger Bestandteil meines Jobs
Heute arbeite ich nicht mehr als Deutschlehrerin, sondern als Legasthenie- und Deutschtrainerin. Der Rotstift zum Kennzeichnen von Fehlern durfte sich bei mir verabschieden. Anstelle dessen nutze ich viel lieber den Grünstift, mit dem ich korrekte Schreibweisen meiner Schüler*innen markiere. Die Stiftfarbe hat sich geändert, ich schaffe es nach und nach immer besser, mich auf den Inhalt von Texten zu konzentrieren und mich nicht mehr durch falsche Schreibungen vom Inhalt ablenken zu lassen. Aber immer noch ist die Rechtschreibung ein wichtiger Bestandteil meines Berufs. Sollte das nicht ein Grund dafür sein, dass ich die Rechtschreibung liebe? Nicht uneingeschränkt, denn es gibt einige Punkte, die mich an der Rechtschreibung massiv stören.
2. Rechtschreibung – ich lieb´ sie nicht
1. Rechtschreibfehler
Hoppla! Sollte das etwa ein Fehler sein? Steht nicht bei den Punkten, die ich an der Rechtschreibung mag, dass ich mich über ulkige Schreibweisen schlapp lachen kann und Fehler von Schreibanfänger*innen süß und putzig finde?
Ehrlich gesagt habe ich ein ambivalentes Verhältnis zu Rechtschreibfehlern.
Wenn ich offizielle oder geschäftliche Texte lese, in denen sich viele Rechtschreibfehler tummeln, irritiert mich das. Auf mich macht das den Eindruck, als wäre der Text nicht mit Sorgfalt verfasst und überarbeitet worden und ich neige dazu, den Umgang mit der Sprache auf andere Bereiche zu übertragen. Sicherlich ist das nicht immer gerecht und gerechtfertigt, weil ich weiß, dass viele Menschen mit der Rechtschreibung auf dem Kriegsfuß stehen. Teilweise schämen sie sich dafür, dass sie die Rechtschreibung nicht sicher beherrschen.
Richtig belastend finde ich es, wenn Schüler*innen mit der Rechtschreibung zu kämpfen haben und ihre Texte ganz rot sind, weil so viel angestrichen und korrigiert wurde. Das ging mir übrigens auch schon zu meinen Lehrerinnenzeiten so, als ich die Arbeiten von Kindern und Jugendlichen korrigieren musste. Ich verstehe sehr gut, dass man seine eigenen Texte nicht noch einmal lesen oder korrigieren mag, wenn sie aussehen, als hätte ein Massaker darauf stattgefunden. Und ich verstehe auch sehr gut, dass man sich schlecht fühlt und an sich zweifelt, wenn die Arbeiten immer wieder so aussehen.
Das ist für mich im Kontext der Rechtschreibung das Schlimmste, wenn ich miterlebe, welche Probleme Menschen damit haben oder bekommen und die oftmals über das reine Schreiben hinausgehen.
Deshalb steht für mich als Legasthenietrainerin auch nicht die reine Stoff-Vermittlung im Vordergrund. Mindestens genauso wichtig ist es mir, meine Lernkinder zu bestärken, so dass sie (wieder) Vertrauen in sich haben.
2. Unlogische und komplizierte Regeln
Wir haben mit der deutschen Sprache Glück, weil über 50% der Wörter so geschrieben werden wie wir sie aussprechen – wenn wir denn deutlich und Hochdeutsch sprechen. Bei 10% des Wortschatzes müssen wir die Schreibweise auswendig lernen. Und bei dem Rest geht es darum, Strategien oder Regeln anzuwenden, um die korrekte Schreibweise ableiten zu können.
Einige dieser Regeln leuchten mir nicht wirklich ein. Beispielsweise finde ich Teile der Regeln zur Zusammen- und Getrenntschreibung unlogisch und kompliziert. Genauso geht es mir beim Groß- und Kleinschreiben von Herkunftsbezeichnungen. Wie hilfreich wäre es, wenn die Regeln hierzu leichter wären!
3. Manchmal grätscht die Rechtschreibung dazwischen
Manchmal, wenn ich einen Text schreibe, bin ich mir mit der Schreibung eines Wortes nicht sicher. Also hüpfe ich schnell auf die Duden-Homepage oder schnappe mir die Print-Ausgabe und schlage nach. Selbst, wenn ich nach dem Nachschlagen sofort wieder an meinen Text gehe, brauche ich erst einmal wieder eine Zeit, um wieder so richtig reinzukommen.
Manchmal kickt mich das Nachschlagen auch komplett raus. Das finde ich nervig.
Jetzt habe ich dir einige meiner Gedanken zur Rechtschreibung erzählt. Die Frage, ob ich die Rechtschreibung nun liebe oder nicht, habe ich allerdings immer noch nicht beantwortet.
3. Rechtschreibung – Ich lieb´ sie, ich lieb´ sie nicht
Ich liebe die deutsche Sprache – ich finde es großartig, dass wir ganz einfach neue, verständliche Wörter bilden können, einfach indem wir sie aneinander hängen. Das Wort „Blogparadenteilnehmerinnentext“ habe ich beispielsweise gerade erfunden (glaube ich zumindest). Es ist ganz schön lang, aber wenn man es langsam und genau liest, weiß man, was ich damit meine, oder?
Die Wortzusammensetzungen oder Komposita liebe ich sehr, aber ich kann mich auch für die Herkunft unserer Wörter begeistern und für die Bedeutungsveränderung, die manche im Laufe der Zeit durchlebt haben. Die Flexibilität, Sätze zu bilden und Satzglieder hin- und herschieben zu können, finde ich großartig. Auch den Klang des Deutschen mag ich.
Und die Rechtschreibung? Liebe ich sie auch? Ehrlich gesagt: Nein! Für mich ist sie ein wichtiges und geschätztes Werkzeug für den schriftlichen Sprachgebrauch, das allerdings teilweise etwas unhandlich ist und dessen Verwendung nicht immer einfach ist.
Ich wünsche mir, dass dieses Werkzeug für uns alle einfach und sicher zu bedienen ist. Wie das zu erreichen wäre? Da habe ich direkt zwei Ideen:
- Wie hilfreich wäre es, wenn einige Bereiche der Rechtschreibung einfacher wären. Die Regeln der Zusammen- und Getrenntschreibung sind beispielsweise für meinen Geschmack teilweise unlogisch und kompliziert und auch die Groß- und Kleinschreibung von Herkunftsbezeichnungen ist nicht ganz einfach. Selbst wenn ich mir bei einer erneuten Reform wieder einen neuen Duden kaufen müssten – das würde ich sehr gerne tun, wenn dadurch das Schreiben leichter würde.
- Ungünstige und unsinnige Rechtschreibmethoden und -ansätze sollten aus den Schulen verbannt werden und dieser wichtige Teilbereich des Deutschunterrichts müsste gründlich und mit ausreichend Zeit unterrichtet werden.
Lust auf mehr Texte über Rechtschreibung? In meinem Text über Konrad Duden liest du über sein Leben und darüber, welche Gemeinsamkeiten ich mit dem Verfasser des bekannten gelben Rechtschreib-Werks habe.
Liebe Ilka,
ich freue mich gerade wie Bolle über deinen ambivalenten und großartigen Beitrag zu meiner Blogparade! Toll geschrieben! Und ich musste beim Lesen deines Artikels immer wieder nicken und lachen. Ich bin auch eine Liebhaberin fehlerfreier Texte – vor allem in Druckerzeugnissen und im beruflichen Kontext. Und auch ich erwische mich immer wieder dabei, dass ich unbewusst stets den Rotstift zücke und Fehler anstreiche, weil sie mir einfach ins Auge fallen und mich wie ein Aufmerksamkeitsvampir vom Inhalt ablenken.
Aber ich habe auch vollstes Verständnis für die Schwierigkeiten, die einige damit haben und biete ihnen als Lektorin sehr gerne meine Unterstützung an. Auf Augenhöhe und ohne zu bewerten.
Herzliche Grüße
Kerstin
Liebe Kerstin,
vielen Dank für deine netten Worte. Das war wirklich mal interessant, über mein Verhältnis zur Rechtschreibung nachzudenken. Auch wenn dabei ein paar Dinge herauskamen, die nicht so ganz nett sind (das Sich-Amüsieren über „lustige Rechtschreibfehler“).
Alles Gute
Ilka
Liebe Ilka,
ich habe Deinen Text mit großem Interesse und Gefallen gelesen. Ich habe in meinem Facebook-Account einen Link gesetzt. Aber der Duden hat mich in Deinem Bild gestört.
Ich reagiere wie Du, wenn ich Texte mit Rechtschreib- oder Grammatikfehlern lese, zum Beispiel im Internet Plakate in großer Schrift mit fordernden Parolen oder irgendwelchen Behauptungen ohne Begründung. Dann denke ich mir, der Schreiber arbeitet nicht seriös und ist nicht ernst zu nehmen. Er denkt so schlampig wie er schreibt. Ich habe das in Kommentaren schon öfter angemerkt und handelte mir immer einen Shitstorm ein. Ich mache das aber weiter, wobei ich meist auch zum Inhalt Argumente bringe. Aber ganz ehrlich: Wenn man viel im Internet unterwegs ist, bekommt man schon das Gefühl, dass korrektes Deutsch nicht mehr wichtig ist. Und vielleicht denkt man auch, der Schreiber könnte ja Legasthenie haben, und kann es gar nicht besser können.
Es ist nicht so einfach …
Wenn ich schreibe, „Vor kurzem wurde ich Mitglied im Kompetenzzirkel Lernen“, meinen sicher viele, ich hätte vor kurzem falsch geschrieben. Oder wenn eine ältere Person sich „im voraus“ bedankt, könnte man auch die Nase rümpfen. Aber diese ältere Person hat gelernt, dass man adverbiale Bestimmungen wie „im voraus“ und „vor kurzem“ klein zu schreiben hat. „Vor kurzem“ ist zwar keine vom Duden empfohlene Schreibung, wird aber noch als richtig gewertet. Bei „im Voraus“ lässt der Duden keine Wahlmöglichkeit mehr zu. Warum gibt es solche Veränderungen im Duden? Weil er die Schreibungen als richtig anerkennt, die die meisten von uns verwenden. Und immer mehr von uns schreiben immer öfter falsch. Und wenn das oft genug geschieht, dann wird das Falsche als richtig angesehen.
Warum wird immer öfter falsch geschrieben? Ich bleibe bei meinem Beispiel „im voraus“. Das Wort „voraus“ ist kein Nomen, außer in der Rechtssprache (das Geld, das der Klient an seinen Mandanten vorweg zahlen muss, nämlich den Voraus). In der Schule lernen die Kinder Nomen über sekundäre Merkmale zu definieren, z.B. dass man sie anfassen kann und dass sie einen Artikel haben. Nomen sind aber primär Namen und Bezeichnungen. Im Text fehlt der Artikel oft oder steht vor anderen Wortarten. Immer wieder habe ich Schüler, die z.B. „die Schöne blume“ schreiben, denn vor „Schöne“ steht ja ein Artikel. Und bei „im Voraus“ versteckt sich dieser Artikel im Wörtchen „im“. Bei „vor Kurzem“ versteckt sich der Artikel nicht und kann auch nicht hinzugedacht werden. Allein die Beugung hat viele dazu verführt, diese adverbiale Bestimmung großzuschreiben. Ich sage dazu: Substantivierung von Dudens Gnaden! Hier fehlt im Duden die klare Linie.
Erschreckend finde ich auch, dass der Duden inzwischen die Formulierung „im Herbst diesen Jahres“ als korrekt einstuft. Mit welcher Frage kann man da denn den Akkusativ bestimmen? Die korrekte Frage wäre: Im Herbst wessen Jahres? Die ursprünglich richtige Formulierung „im Herbst dieses Jahres“ hört man immer weniger, auch weil viele Nachrichtensprecher diesen „Fehler“ machen.
Mit der Zusammen- und Getrenntschreibung habe ich wenig Probleme. Mit meinen Schülern komme ich bis zu diesem Rechtschreibthema allerdings gar nicht.
Noch eine Schlussbemerkung: Im Buch von Günther Thomé – DEUTSCHE ORTHOGRAPHIE – HISTORISCH, SYSTEMATISCH, DIDAKTISCH habe ich gelesen, dass bei einer Rechtschreibkonferenz im Jahre 1855 ein Professor vorschlug, das v ersatzlos zu streichen, weil es zum f redundant sei. Wenn er sich durchgesetzt hätte, würden wir heute Fater und Fogel schreiben und als normal empfinden. Wäre das eine Vereinfachung, die man sich wünschen könnte? Die Schüler sehen das sicher anders als wir. Übrigens: Auch das stumme h könnte man ersatzlos streichen. Bahn und Ban hören sich gleich an. Auch eine Vereinfachung?
Liebe Grüße und weiter viel Freude beim Schreiben!
Siegbert
Lieber Siegbert,
ganz vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Ich bin ehrlich gesagt etwas zwiespältig, was Veränderungen in der Rechtschreibung anbelangt.
Einerseits verstehe ich deinen Frust gut, wenn so vieles falsch geschrieben wird und sich diese Schreibweisen nach und nach durchsetzen. Andererseits
ist (unsere) Sprache in meinen Augen in erster Linie ein Kommunikationsmittel, das immer wieder Anpassungen und Änderungen erlebt. Ich fände es traurig,
wenn es anders wäre.
Naja, so ganz stimmt das nicht. Im Bereich der Rechtschreibung schaffe ich es, großzügiger zu sein, aber bei falscher Verwendung der Grammatik
rollen sich mir die Fußnägel auf. Inzwischen ist es ja schon normal, dass nach „weil“ kein Nebensatz mehr folgt (sogar in den Nachrichten im Hessischen Rundfunk).
Kinder erzählen mir, dass sie bei „Herr Fischer“ Musik haben. Ich komme mir unglaublich gestelzt vor, wenn ich den Genitiv im Maskulinum oder Neutrum richtig verwende
(„Das ist das Handtuch meines Mannes, ach nein, das ist doch das meines Hundes“). Und der Konjunktiv scheint zumindest im mündlichen Sprachgebrauch nicht mehr zu existieren.
Bei solchen Fehlern kann ich mich oft nicht bremsen und gebe mehr oder weniger dezente Tipps zum korrekten Gebrauch.
Viele Grüße
Ilka