Glücksmomente im Lerntraining

Als ich mit meiner Arbeit als Legasthenietrainerin und Lerncoach angefangen habe, bekam ich immer wieder die Frage zu hören: „Sag mal, ist das nicht belastend und frustrierend, wenn du jetzt nur noch mit Kindern und Jugendlichen arbeitest, die massive Schwierigkeiten in der Schule haben?“

Natürlich macht es mich immer wieder traurig, mit welchen Schwierigkeiten und Hürden manche Kinder konfrontiert sind und was das für Folgen für sie und ihre Familien hat. Umso schöner ist es, wenn ich erlebe, dass meine Unterstützung bei den Kindern Früchte trägt und sie besser in der Schule (und im Leben) zurechtkommen. Es gibt sie also durchaus, die Glücksmomente im Lerntraining. Und davon erzähle ich dir in diesem Text.

Übrigens nehme ich mit diesem Text an der Blogparade über „Glücksmomente im Business“ von Sabine Piarry teil.

1. Die Kinder in meinem Lerntraining

Die Kinder, mit denen ich zusammenarbeite, haben Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben. Wie ausgeprägt diese Probleme mit der Schriftsprache sind, ist ganz unterschiedlich. Was aber eigentlich bei allen gleich ist – das Lesen und/oder das Schreiben fällt schwer, ist eine Quälerei und macht keinen Spaß.

Das hat nicht nur Auswirkungen auf den Deutschunterricht. Auch in anderen Fächern bekommen die Kinder mit Lese- und Schreibdefiziten häufig Probleme.

Leicht passiert es dann, dass die Kinder an sich zweifeln, sich für dumm oder unfähig halten. Ein negatives Selbstbild, mangelndes Selbstbewusstsein und ein fehlendes Selbstwertgefühl können die Folge sein.

2. Kleine Erfolge ermöglichen

Den Selbstwert zu stabilisieren und das Lesen und Schreiben zu verbessern gehören für mich zusammen. Das ist gar nicht so leicht, wenn ein Mensch schon in ganz jungen Jahren viele Misserfolgs-Erlebnisse hatte.

Was hilft, dieses Ziel zu erreichen: Genau festzustellen, wo das Kind aktuell steht und was geübt werden muss. Wir gehen kleinschrittig vor und wiederholen und üben genau das, was dem Kind noch Schwierigkeiten bereitet.

Bei meiner Arbeit ist es sehr wichtig, kleinere Etappenziele zu definieren und so richtig zu feiern, wenn ein Kind diese erreicht. Denn wenn ein Kind über Jahre hinweg Defizite beim Lesen und Schreiben hatte, dann wird es diese nicht in kurzer Zeit beheben können. Möglicherweise wird die Rechtschreibung in der nächsten Klassenarbeit wieder mit einer 5 oder 6 benotet, obwohl das Kind ein Drittel weniger Fehler gemacht hat als in der letzten Arbeit. Das ist eine großartige Leistung, spiegelt sich bloß leider in der Note gar nicht wider. Also schauen wir auch bei den Arbeiten genau, was sich schon verbessert hat und wertschätzen das.

3. Die Chemie muss stimmen

Jede noch so schöne Methode funktioniert nicht, wenn die Chemie nicht stimmt. Damit ich die Kinder gut auf ihrem Weg zu mehr Selbstbewusstsein und besseren Lese- und Schreibfertigkeiten erfolgreich unterstützen kann, ist es wichtig, dass wir uns sympathisch sind und uns vertrauen. Das mit der Sympathie entscheidet sich sehr schnell.

Das Vertrauen hingegen ist nicht immer von Anfang an da. Deshalb freue ich mich immer sehr, wenn ich feststelle, dass sich ein Kind öffnet. Das bemerke ich an ganz unterschiedlichen Dingen – ein Kind fängt an, von sich aus zu erzählen, ein anderes Kind muss mich mal in den Arm nehmen. Wieder ein anderes Kind spielt mir einen lustigen Streich.

3. Glücksmomente im Lerntraining

Gute Methoden, eine stimmige Chemie, Engagement und Motivation des Kindes können schließlich dazu führen, dass bei den Kindern ein Knoten platzt.

Es ist großartig, wenn ich miterleben darf, wenn ein Kind auf einmal eine lange geübte Sache beherrscht oder sich etwas (zu-)traut, was zuvor nicht möglich war. Ich meine, diese „Knoten-Platz-Momente“ an der Körperhaltung und am Gesicht des Kindes erkennen zu können. Auf einmal ist der Körper aufrechter, das Kind ist aufmerksam, die Augen weit geöffnet und manchmal lächelt es.

Übrigens sind solche Glücksmomente im Lerntraining ansteckend, denn ich bemerke nach solchen Stunden, dass ich mit einem breiten Grinsen unterwegs bin.

Vor den Sommerferien wurde einem Mädchen während des Lerntrainings klar, dass sie viel besser lesen und schreiben konnte als gedacht.

Sie war sehr schlechtgelaunt in das Training gekommen, weil sie viel lieber bei einem Fest im Hort geblieben wäre. Aus Trotz sprach sie nicht mit mir. Ich beschloss, ebenfalls nicht zu reden und so kommunizierten wir die komplette Stunde schriftlich.

Das Mädchen war hochmotiviert und konzentriert und konnte auf einmal viel schneller lesen und schreiben als sonst. Sie war sehr stolz, als ich das komplett beschriebene Flipchart-Blatt abfotografierte und ihrer Mutter schickte, damit sie auch sehen konnte, wie gut ihr Kind in der Stunde gelesen und geschrieben hatte. Und das Kind, das vorher nicht mit mir hat arbeiten wollen, musste ich am Ende der Stunde quasi aus dem Raum scheuchen, weil sie weiterschreiben wollte.

4. Beispiele für Glücksmomente

Nicht immer bin ich in diesen „Knoten-Platz-Momenten“ dabei, erfahre aber meistens in der nächsten Trainingsstunde davon. Nach den sechswöchigen Sommerferien haben mir einige Lernkinder erzählt, was sich in der freien Zeit bei ihnen so getan hat. Das war für mich (und sie) eine richtige Glücksdusche:

  • Ein Mädchen mit massiven Leseschwierigkeiten hat 8 Bücher gelesen. Das waren Erstlesebücher und sie ist in der weiterführenden Schule. Na und? Wichtig ist doch, dass sie das geschafft hat und Spaß daran hatte.
  • Ein Junge hat beschlossen, dass er versuchen möchte, am Ende des Schuljahres ins Gymnasium zu wechseln.
  • Ein Kind hat mir erzählt, dass es jetzt bei der Schülerzeitung mitmachen möchte, obwohl Schreiben bisher sehr schwierig war.
  • Vor den Ferien hat jedes Kind von mir ein Heftchen bekommen, mit ungewöhnlichen Leseorten. Ein Kind hat sich solche Lese-Inspirationen für die Herbstferien gewünscht.

5. Happy End?

Es gibt sie also, die Glücksmomente im Lerntraining. Die Kinder werden selbstbewusster und können ihre Schwierigkeiten mit der Schriftsprache besser managen.

Das heißt allerdings nicht, dass die Kinder wie durch Magie zukünftig vollkommen problemfrei und sorglos durch die Schulzeit gehen werden. Es kann immer mal wieder eine schlechte Note geben, zu Hänseleien oder einer ungerechten Behandlung kommen.

Das kann das Lerntraining nicht verhindern. Durch das Lerntraining haben die Kinder aber schon einmal die Erfahrung gemacht, dass sie ihre Lage stark verbessert haben. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein und diese Kinder werden nicht wieder in eine Opferrolle rutschen.

2 Kommentare zu „Glücksmomente im Lerntraining“

  1. Das ist so wahr, liebe Ilka! Es gibt so viele schöne Momente im Lerntraining mit den Kindern. Es fällt ihnen sehr schwer, aber deshalb sind auch kleine Fortschritte ein sehr großer Schritt für die Kinder und darüber dürfen sie sich freuen! 🙂 Danke, dass du uns hier positive Einblicke in dein Legasthenietraining aufzeigst, es gibt genug Negatives auf der Welt. Fokus auf Positives finde ich toll! 🙂

    1. Liebe Birgit,

      ganz vielen Dank für deine wertschätzenden Worte. Eigentlich sollten wir immer und überall unsere Erfolge feiern, ob große oder kleine. Ich finde, dass das oft auf der Strecke bleibt. Übrigens bin ich im Feiern meiner eigenen Erfolge noch nicht gut.

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